Selbstführung – Eine Schlüsselqualifikation für individuellen Erfolg in agilen Organisationen
12.12.2019 / Angelika Cyllok
Selbstführung – Eine Schlüsselqualifkation für individuellen Erfolg in agilen Organisationen
Wer etwas weiß, der kann noch nichts.
Wer etwas kann, der tut noch nichts.
Erst TUN macht den Unterschied.
Kommerzielle Unternehmen und auch Non-Profit-Organisationen sind - freiwillig oder erzwungener- maßen - immer wieder auf der Suche nach neuen Lösungen, um ihre Wirksamkeit und ihre Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Derzeit scheint die Agilität das Mittel der Wahl und das Trendthema im Kontext von Führung, Organisationsentwicklung und Unternehmenssteuerung.
In agilen Organisationsstrukturen verlieren stringent festgelegte Arbeitsprozesse, Top-Down-Entscheidungen, strikte Hierarchien und das Herrschaftswissen ihre dominante Bedeutung. In der Folge verschwinden direktive Mitarbeiterführung und fremdbestimmtes Arbeiten nach Anweisung. Es braucht vielmehr eine von Offenheit und Vertrauen gegenüber den MitarbeiterInnen getragene Unternehmenskultur, die deren eigenständiges Dürfen und nicht mehr ihr gehorsames Sollen in den Vordergrund stellt. Für MitarbeiterInnen stehen Selbstverantwortung, Selbstbestimmung, mehr Selbstverwirklichung und individuelle Freiräume am Horizont der NEW WORK. Einige Aspekte eines humanen Menschenbildes scheinen in der organisationalen Alltagswirklichkeit anzukommen.
Ist NEW WORK tatsächlich die heile Arbeitswelt? Sicherlich - für MitarbeiterInnen, die diese Bedingungen schätzen und damit aussichtsreich und belastungsfrei umgehen können. Gegenüber früher verlieren sie externe Sicherheit, die ihnen das System oder die Führungskraft boten. Stets eigene Entscheidungen zu treffen und dafür Verantwortung zu übernehmen ist (noch) nicht jeder Frau/jeder Manns Sache und, da nicht geübt, (noch) nicht von jedem/r gewollt.
Durch die ständig wechselnden Aufgaben, sich immer wieder ändernden Teamzusammensetzungen kann man durchaus von einer notwendigen Willkommenskultur in Organisationen sprechen, die eine wertvolle Diversität erst ermöglicht. Für alle Teilhabenden bedeutet dies, tragfähige Kontrakte über kulturelle Besonderheiten, über Ländergrenzen oder auch nur regionale Eigenheiten hinweg zu schließen.
Selbstmarketing gewinnt Bedeutung
MitarbeiterInnen in fluiden Organisationsstrukturen brauchen Selbstsicherheit und müssen über eine ausreichende Selbstwirksamkeit verfügen. Sich permanent zu zeigen, unverhohlen über Fortschritte oder auch Widrigkeiten im Arbeitsprozess zu berichten, sich fortlaufend mit anderen abzustimmen und auseinanderzusetzen braucht reichlich Mut und Tatkraft. Bescheidenheit und Zurückhaltung sind hier eher dysfunktional. Die moderne Mischung aus fest angestellten und freien MitarbeiterInnen auf Zeit führt zwangsläufig zu einer Konkurrenzsituation. Für die festen MitarbeiterInnen, die sich aktuell mit attraktiven Aufgaben beschäftigen und langfristig gefragte MitarbeiterInnen bleiben wollen, erwächst daraus die Konsequenz, ein wirksames Selbstmarketing zu beherrschen. Es geht für sie um deutliche Sichtbarkeit und um eine prägnante Profilierung. Und es geht zudem um eine schnell wahrnehmbare und gleichzeitig starke Kommunikation und um eine gewinnende Ausstrahlung. Die berufliche Situation hat erste Züge eines Castings, das bewältigt werden muss. Das gelingt dann, wenn die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit außer Zweifel steht.
Eine Kernkompetenz, eine elementare Schlüsselqualifikation für diese NEW WORK ist Selbstführung. Selbstführung heißt, den aktuellen Kurs auf das vereinbarte Ziel permanent selbst zu bestimmen, eigenhändig nachzujustieren, das Tempo und die Qualitätsnormen zielführend anzupassen. Hinzukommen als Voraussetzungen eine beständige Eigenmotivation und ein beharrliches Eigenengagement. Die operationalen Tätigkeiten sind selbst zu organisieren und der notwendige Support ist sicherzustellen. Das schon früher geforderte Commitment der MitarbeiterInnen, ihre Identifikation mit dem Unternehmen, bekommt in diesem Umfeld eine noch größere Bedeutung.
All diese Faktoren sorgen für Tempo, Druck und Komplexität. Hinzu kommt festzulegen, wann ich wo, im Homeoffice oder im vermutlich offenen Büro, wie lange ich arbeite, wann ich ansprechbar bin, welche Aufmerksamkeit Netzwerke und persönliche Kontakte erfordern, mit wem ich kooperiere, welchen Stellenwert die Forschung/Entwicklung, der Markt, die Konkurrenz, die Lieferanten etc., etc. haben.
Selbstführung bedeutet damit in hohem Maß und in Eigenverantwortung für die eigene Leistungs- und Belastungsfähigkeit, für den Energiehaushalt, für eine gute Balance zwischen Anspannung und Erholung zu sorgen.
Welche Persönlichkeit für agile Systeme?
Was fordern die flexiblen Arbeitsformen einer agilen Organisation und die Erfordernisse der Selbstführung real von MitarbeiterInnen? Pathetisch formuliert heißt die Frage: Welche Persönlichkeit brauchen agile Systeme? Oder: Welcher Mensch kann sich in agilen Systemen erfolgreich bewegen?
Das sind Fragen, die über Management- und Führungsphilosophien in Organisationen weit hinausreichen. Sie werden im gesellschaftlichen Diskurs ebenso gestellt wie in der politischen Diskussion. Die gegenwärtigen Verwerfungen und aggressiven Kontroversen zeigen, dass befriedigende Antworten und förderliche Lösungsvorschläge noch nicht gegeben sind oder zumindest nicht akzeptiert werden. Die weltweite Entwicklung, weg von demokratischen Strukturen hin zu autokratischen Staatssystemen, zeigt eine Richtung auf, die den agilen Organisationen diametral gegenübersteht. Die Skepsis gegenüber offenen, flexiblen Systemen, die in erster Linie auf die Eigeninitiative der Menschen bauen, ist meiner Meinung nach eine mögliche Erklärung für die neue Faszination, die von repressiven Führerpersönlichkeiten ausgeht. So stehen sich im politischen Raum der Staatssysteme wie im Feld der (unternehmerischen) Organisationen zwei Paradigmen unent- schieden gegenüber. Hinzu kommt, dass sich unsere Lebensbedingungen ganz grundsätzlich in einem radikalen Wandlungsprozess befinden. Trotz mannigfaltiger Arbeitserleichterungen und hocheffizienter Kommunikationsmittel nehmen Zeitdruck, Stressbelastungen und Unzufriedenheit zu. Die enorm gestiegenen Wahlmöglichkeiten für jeden Einzelnen, d.h. seine individuelle Freiheit mit ausufernden Optionen in allen Belangen seines Lebens, führen mehrheitlich nicht zu Zufriedenheit und Glücksempfindungen. Sie scheinen viele eher zu (über)fordern und eine Sehnsucht nach Klarheit, Einfachheit und unverrückbaren Konstanten hervorzurufen. Neue Rollenbilder für Männer und Frauen, vielfältige Familienkonstellationen, verschiedenste sexuelle oder nationale Identitäten, der Rückgang religiöser Bindungen stellen große Herausforderungen dar. Die Zukunft der Sozialsysteme, oder - ganz banal - die Bevorzugung eines bestimmten Strom- bzw. Handytarifs sind Angebote, die genau analysiert und bewertet werden müssen. Die Menschen sind kaum mehr durch tradierte Rollenmuster oder vorgegebene staatliche Regelungen beschränkt. Freiheit? Ja, mit der zwingenden Folge, sich beständig zu informieren, auszutauschen, zu verhandeln, um selbst zu einer Entscheidung und damit zu einem Ergebnis zu kommen.
Das sind die Parallelen des gegenwärtigen Alltags mit den Herausforderungen der MitarbeiterInnen
in NEW WORK. Hier wie dort benötigen die Menschen ausschlaggebend die Schlüsselqualifikation sich selbst zu steuern.
Selbstführung: Wahrnehmung, Reflexion und Fokussierung
Wenn im AUSSEN der MitarbeiterInnen so viel in Bewegung ist, Veränderung und Komplexität die entscheidenden Einflussgrößen darstellen, braucht es ein entsprechendes INNEN. Hier geht es um klare Grundhaltungen und persönliche Leitlinien, emotionale und körperliche Belastbarkeit, um einen stabilen Selbstwert und um mentale Flexibilität. Intelligente Anpassung ist das Gebot der Stunde. Sie ist das Gegenteil von Opportunismus.
Zielsichere, befriedigende Selbstführung gelingt dann, wenn der Mensch über ein umfassendes
Selbst-Bewusstsein verfügt. Dafür braucht es Kenntnis über die eigene Persönlichkeit, ihrer verschiedenen Aspekte und ein attraktives und klares Lebensszenario. Eine prägnante Fokussierung, die als Navigationsinstrument, quasi als GPS, für Orientierung sorgt und Verwirrung verhindern hilft.
Fokussierung ermöglichen durch regelmäßiges Üben
Den eigenen Dingen auf den Grund zu gehen und ihre Wirkung zu erkennen, gelingt begreifbar durch Nachdenken und Reflektion. Achtsamkeit und Aufmerksamkeit gegenüber und für sich sorgen dafür, dass im reizüberfluteten Alltag die wertvollen Ressourcen erhalten bleiben und dauerhaft zur Verfügung stehen können. Entscheidend für eine förderliche Selbstführung ist nur das bewusste und nicht das reflexhafte Tun auf der Basis innerer Überzeugungen. Das gelingt mit verfeinerter Wahrnehmung auf den Ebenen Denken, Fühlen und Körperempfinden. Die Fähigkeit der offenen (vorurteilsfreien) und verfeinerter Wahrnehmung entwickelt sich durch tägliches Üben, sie ist wie ein Muskel, der trainiert werden kann. Und sie ist die Basis für die so wichtige Aufmerksamkeitsfokussierung im Alltag. Gemeint ist, Präsenz im Hier und Jetzt, ohne sich ablenken zu lassen, was „dort drüben“ passiert.
Unterstützung organisieren: Netzwerke und professionelle Begleitung
Reflektion und Selbsterkundung heben zunächst Informationen und Erkenntnisse über das eigene Denken und Fühlen. Daraus entsteht eine solide Basis für souveränes, eigenverantwortliches Handeln. Neben diesen eher rationalen Einsichten spielt die Intuition eine wesentliche Rolle bei spontanen Entscheidungen. Das ist auch wirklich hilfreich und wichtig. Der wesentliche Unterschied ist allerdings, dass der reflektierte, selbstgeführte Mensch dies bemerkt und nicht wie fremdgesteuert auftritt. Erfahrungswissen und Weisheit (auch in jungem Alter) sind wertvolle Schätze. Musiker, Sportler oder auch Wissenschaftler qualifizieren sich dauerhaft weiter, trainieren und hinterfragen sich ständig. So ist es auch beim Thema der Selbstführung. Sie zu erlernen ist das Erste. Sie effektvoll zu praktizieren verlangt, am Ball zu bleiben. Empfehlenswert ist, die Besinnung und, falls sinnvoll, die Neuausrichtung zu einem regelmäßigen Ritual zu machen. Auch die Netzwerktreffen mit gleichgesinnten Menschen sorgen im Regelwerk des Alltags für den nötigen Energieschub und die mentale Unterstützung.
Wer Erfahrung damit hat, Erkenntnisse auch in TUN umzusetzen, weiß, wie schwer das sein kann. Positive Lebensszenarien, attraktive innere Bilder mit Sog-Kraft unterstützen, neues Verhalten im Alltag zu kultivieren. Trotzdem wird es Ehrenrunden geben, in denen man den Fokus verliert. Gut, wenn eine Routine mit einer wohlwollenden und motivierenden professionellen Begleitung etabliert ist, die den nächsten Schritt mit uns gemeinsam vorbereitet.
Wer sich in der Komplexität gut bewegen will, muss selbst komplex sein. Vielschichtig, flexibel und variantenreich zu agieren erfordert sicheres Gespür für die Situation, die beteiligten Personen und unterschiedlichste Kompetenzen. Anspruchsvolle Aufgaben unter ständig wechselnden Bedingungen zu bewältigen ist eine enorme Herausforderung.
Bewusste Selbstführung, Zuversicht und Mut ermöglichen das TUN.
Angelika M. Cyllok
Literaturverzeichnis
Binder, T. (2016). Ich-Entwicklung für effektives Beraten. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht.
DAK. (2016). Gesundheitsreport 2016.
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsvorschung. (2017). Der digitale Wandel der Arbeitswelt und Herausforderungen für die Bildung. Vodafone Stiftung Deutschland.
Goleman, D. (2013). Focus - Hidden Driver of Excellence. HarperCollins.
Hofert, S. (2016). Agiler Führen. Springer Gabler.
Storch, M. &. (2014). Selbstmanagement - Ressourcenorientiert. Verlag Hans Huber.