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Herkunft und Zukunft der Organisationsentwicklung

20.05.2019 / Barbara Albrecht

Herkunft und Zukunft der Organisationsentwicklung

Veränderungen, permanenter Wandel sind Teil unseres Daseins und damit Teil des Alltags in Organisationen. Treiber dieser permanenten Veränderungen in Organisationen sind sowohl technologische, soziale und ökologische, ökonomische und globale Veränderungen in den Unternehmensumwelten als auch ihr Spiegelbild in ihrem Inneren. In der Art und Weise wie Unternehmen mit ihren Veränderungsansprüchen umgehen, gibt es diametrale Unterschiede, deren Grundlage jeweils Überzeugungen, Welt- und Menschenbilder sind. Und diese sind nicht je nach Situation austauschbar. Wenn die einen überzeugt sind, dass die Zukunft der Gesellschaft und damit auch der Unternehmen die Kraft des Wir braucht und andere auf Konkurrenz, Individualismus, Ich AG´s bauen; wenn in einer Langzeitstudie bei Deutschlands Akademikern (1) ein Drittel meint, dass es nützlichere und weniger nützliche Menschen gibt und dass sich die Gesellschaft weniger nützliche Menschen nicht leisten kann und andere auf eine Solidaritätsgemeinschaft pochen, wenn 25% von Deutschlands Akademikern Werte für einen Luxus halten, den wir uns nicht mehr leisten können (2) und andere wertorientiertes Handeln als Fundament im Zusammenleben und Zusammenarbeiten sehen, dann zeigen sich diese Unterschiede unmittelbar auch als konträre Standpunkte bei der Führung, Gestaltung und Veränderung von Organisationen. Bei den einen zählt am Ende des Tages einfach nur das EGT und bei strategischen Überlegungen richtet sich der Blick auf das was kriegsentscheidend ist; andere wagen eine ganzheitliche Sicht, fragen nach dem Nutzen, den Ihr Kerngeschäft bei Kunden und in der Region stiftet, wollen mit ihrer Organisation Neues und Wertvolles in die Welt bringen und damit in der Folge auch gute Gewinne machen.
Die Organisationsentwicklung (OE) mit ihren expliziten Werten und Grundhaltungen gerät dabei in Gefahr, für jede Form der Unternehmensgestaltung instrumentalisiert zu werden.

Führen mit den Haltungen der Organisationsentwicklung kehrt dem längst veralteten Konzept des Taylorismus kompromisslos den Rücken. OE – geleitete Führungskräfte sind keine quartalszielorientierte Managerinnen; vielmehr sind sie Führungspersönlichkeiten mit einer professionellen und unternehmerischen Lust an der nachhaltigen und eigenwilligen Gestaltung ihres Unternehmens (im Unterschied zur optimierenden Vermessung des Falschen). Viele von ihnen haben längst empirisch bewiesen, dass es unter Beachtung der Grundhaltungen und Konzepte der Organisationsentwicklung möglich und sinnvoll ist, einen mutigen, beherzten und ganz eigenen (und betriebswirtschaftlich höchst erfolgreichen) Weg mit ihrem Unternehmen und den darin arbeitenden Menschen zu gehen.

Unter dem Motto Zukunft braucht Herkunft möchten wir im Folgenden einen Überblick zur Herkunft der OE geben, dem Wesentlichen der OE Ausdruck verleihen und dann aktuelle und zukunftsweisende Tendenzen aus unserer Sicht zur Verfügung stellen. Mit ausgewählten Modellen geben wir ihnen methodische Hilfen für ihr Handeln im Sinne der OE in die Hand.

  1. Herkunft und Hintergründe der Organisationsentwicklung (OE)

OE hat im Hintergrund gesellschaftliche und institutionelle Gegebenheiten die sich im jeweils vorherrschenden Bewusstsein in Hinblick auf Führung und Gestaltung von Organisationen zeigen. Im 17./18. Jahrhundert war das die Auffassung der Organisation als Organismus. Abgelöst wurde diese Auffassung 1776 mit dem Buch von Adam Smith „Vom Wohlstand der Nationen“ in dem A. Smith die Arbeitsteilung als das Wohlstandsmerkmal für die Gesellschaft präsentiert. In die Welt der Organisationen übertragen hat das zunächst F.W. Taylor 1911 mit seiner Darlegung der „Grundsätze der Wissenschaftlichen Betriebsführung“ (ursprünglich: „Prozesssteuerung“) und 1916 der Begründer der Managementlehre Henry Fayol mit seinen 14 Prinzipien des Managements. Die Maschinenmetapher wurde damit zum vorherrschenden Gestaltungsprinzip von Organisationen. Der Mensch wurde als rationaler oder funktionaler Bestandteil der Organisation gesehen und dementsprechend behandelt. (3) Die Folge dieser hoch arbeitsteiligen Organisationsgestaltung waren in einer vorwiegend patriarchalen Gesellschaftsordnung zum einen, eine immer distanziertere Haltung der Mitarbeitenden zum Unternehmen und die Erkenntnis, dass der Faktor Lohn weit weniger wirksam ist als erwartet. Als Reaktion darauf entstand in den 1930 er Jahren die sogenannte Human Relations Bewegung (Elton Mayo, F.J. Roethlisberger). Mitarbeiterführung wurde zu einer wichtigen Führungsaufgabe, vor allem die Motivation der Mitarbeiter für eine Arbeitswelt, in der Mitarbeiter für eine an sich demotivierende Arbeit gewonnen werden sollten. Abraham Maslow entwickelte seine Bedürfnispyramide mit einer Klassifikation der Motive. Führung und Führungsstil gewannen immer mehr an Bedeutung in Hinblick auf die Arbeitsleistung und Einstellung der Arbeiter zu ihrer Arbeit. Arbeitspsychologie und Betriebssoziologie fanden Beachtung in der bislang vorwiegend von Ingenieuren geprägten Organisationswelt. Konsequent praktizierender Arbeitsteilung entspricht, dass Produktionsprozesse und Mitarbeiterführung dissoziiert organisiert und bearbeitet waren.

Mit der Idee der Organisationsentwicklung zeigt sich erstmals ein ganzheitlicher Blick auf das Unternehmen, der die menschlichen Aspekte integriert. In den 50ier Jahren tauchte der Begriff „Organisationsentwicklung“ in der angloamerikanischen Literatur auf. Mit OE wurden Trainingsmassnahmen beschrieben, die auf eine Veränderung bestimmter Einstellungen und Verhaltensmuster der Mitarbeiter abzielten und die auf diesem Wege einen Wandel der Strukturen und Abläufe in Organisationen in Gang setzen sollten. (4) Kurt Lewin (MIT), der Begründer der Gruppendynamik und der Sensitivity Trainings zählt ebenso wie die Forscher des Londoner Tavistock Institute of Human Relations (sein Zweck ist Organisationen als soziale Systeme zu verstehen und menschengerecht zu verändern) zu den bedeutensten Wurzeln der OE.

In den 70iger Jahren etabliert sich der Begriff der OE in Europa. Zum einen durch die Arbeiten am NPI (Niederländisches Institut für Organisationsentwicklung); auf der Grundlage der Antroposophie Rudolf Steiners erarbeiten B.C.J Lievegoed, Fritz Glasl, Otmar Donnenberg, Helmuth ten Siethoff, Lex Bos u.a. ein umfassendes Organisationsmodell, ein lineares Konzept der Entwicklung von Organisationen sowie Modelle für die Gestaltung von OE Prozessen. Zum anderen durch das 1. Europäische Forum über Organisationsentwicklung 1978 in Aachen (Karsten Trebesch). Zeitgleich entstanden verschiedenste Ansätzen für die Beschreibung von Organisationen und dementsprechende praxisorientierte Organisationsmodellen wie z. B. das Systemkonzept French/Bell, das Modell offener Systeme von Katz/Kahm, das Modell der Organisationsdynamik von Kotter, das 7-S Modell von Peters/Waterman, das OSTO Modell von H. Riekman oder die Organisationskonfiguration von Henry Mintzberg. Die OE war auf der Suche nach Antworten wie Organisationen als Ganzes erfasst werden können und entwickelte Modelle, die den Blick für die relevanten Entwicklungsbereiche auf personaler und organisationaler Ebene schärften.
Durch die Arbeiten von Bernhard Livegoed, Fritz Glasl u.a. wandelte sich die OE von einem Konzept der Unternehmensberatung hin zu einem Konzept für die Führung und Gestaltung von Unternehmungen und Institutionen.
Parallel dazu bekam die OE wesentliche Impulse von der Systemtheorie. Die Arbeiten der Vertreter der allgemeinen Systemtheorie (Bertalanffy, Bateson, Heinz von Foerster u.a.) prägten die systemische OE ebenso, wie die Arbeiten von M. Selvini-Palazzoli, oder A.v.Schlippe und J. Schweitzer als Vertreter der systemischen Familientherapie. Diese gelten als bedeutende Quelle für Interventionsprinzipien und – techniken.
Humberto Maturana bereichert mit seinem Modell der Autopiese und zeigt auf, dass Organisationen nicht vorhersagbar, linear gesteuert werden können und dass sie das Potenzial der Selbstorganisation besitzen. Niklas Luhman als Vertreter der soziologischen Systemtheorie führt die Unterscheidung zwischen System und Umwelt ein. Daraus entwickelte sich die systemische Organisationsentwicklung. Trotz massiver öffentlicher Abwertungen durch bereits etablierte Vertreter der OE in den 80ier Jahren hat sich die Vorstellung, dass Organisationen im Kontext der OE als lebende soziale Systeme verstanden werden durchgesetzt. Während traditionell Organisationen als prinzipiell planbar, steuerbar, beherrschbar und kontrollierbar angesehen wurden (und immer noch werden), geht die systemische OE von einem komplexen Verständnis von Organisationen aus. Für die Praxis der Führung und Beratung entwickelt und beschrieben wurde das systemische Organisationsverständnis im Management Center Vorarlberg (Baumgartner, Häfele, Schwarz, Sohm) (5). Entsprechend den massiven ökonomischen und ökologischen Herausforderungen der 80iger Jahre wurden Fragen der Unternehmensethik aktuell. Wertschätzung – bislang als esoterische Spinnerei abgetan – wurde selbstverständlicher Bestandteil von Unternehmensleitbildern und Führungsgrundsätzen.

  1. Die OE in der Gegenwart

Unternehmen sind unter den gegebenen Markt- und Wirtschaftsverhältnissen in besonderem Maße darauf angewiesen, vorhandene Potentiale zu nützen, zu energetisieren und weiter zu entwickeln. Zudem fordern Geschäftsleitungen von ihren Führungskräften und Experten expliziter die Übernahme von Verantwortung im eigenen Führungsbereich sowie deren uneingeschränkte Kooperations- und Dialogfähigkeit.

Häufig ist dies nur zum Teil eine Frage des Verhaltens weit häufiger eine Frage der Einstellungen, der Persönlichkeit einzelner Schlüsselpersonen, aber auch der Strukturen und der Machtverhältnisse. Während einzelne Organisationen konsequent an der Entwicklung dieser Qualitäten arbeiten sind dies für manche Top-Führungskräfte die großen Herausforderungen ihrer Organisationsentwicklung.

Die gegenwärtige Organisationsentwicklung verfügt über bewährte Konzepte für umfassende Selbstdiagnosen komplexer Situationen unter Einbezug der Betroffenen und für umfassende, wirkungsvolle Veränderungs- und Entwicklungsprozesse. Grundlage ist die Integration der oben beschriebenen personen- und systembezogenen Theorien, Modelle und Interventionstechniken und deren effiziente und wirkungsvolle Anwendung. Eine diesbezügliche Integration und Handlungsanleitung für Führungskräfte und BeraterInnen finden Sie in unserem Buch OE-Prozesse initiieren und gestalten (6). In der Anwendung dieser OE Konzepte, Modelle und Interventionstechniken zeigt sich, dass in Organisationen, bis ca. 2000 Mitarbeitenden mit dem entsprechendem aktiven Engagement der Geschäftsleitung beeindruckende Ergebnisse erzielt werden. Viele dieser KMU´s erleben, dass sie mit gewohnten Optimierungsprogrammen und der Zerstückelung der Unternehmungen in funktionale Expertenorganisationen an Grenzen stoßen und damit ihre Existenz nicht nachhaltig absichern. Wandlungsprozesse mit den Konzepten der OE in Richtung lebendiger, unternehmerischer Strukturen und Kulturen und die Neuausrichtung ihres Kerngeschäfts mit den Haltungen, Modellen und Methoden der OE erweisen sich als äußerst erfolgreich.
In Großunternehmungen, die in Hinblick auf Veränderungen und Entwicklungen vielfach schwerfällig und unbeweglich sind, wo Manager kaum Vorstellungen oder gar verinnerlichte Überzeugungen für einen grundlegenden Wandel mit den Prinzipien der OE haben, wird vielfach unbeirrt an der Optimierung bestehender Verhältnisse gearbeitet. Dennoch gibt es in Großunternehmen immer wieder unbeachtete Nischen, in denen kleine unternehmerische Einheiten, im Schutz einflussreicher Manager ganz im Sinne der OE neue, für die Gesamtorganisation unvorstellbare Wege beschritten werden. Berührungspunkten der innovativen Einheiten mit den traditionellen Geschäftsbereichen sind dementsprechend herausfordernd und bewusst zu gestalten.

  1. Die Zukunft der OE

Wir befinden uns heute im Übergang von einer Wissensgesellschaft zu einer Gesellschaft in der Nachhaltigkeit, Gesundheit und Vitalität von Menschen und Organisationen, eine existenzielle Rolle spielen werden. Entwicklungen und strategische Planung sind heute nicht mehr über einen längeren Zeitraum linear vorhersagbar. Die klassischen Strukturen sind vielfach zu unflexibel und schwerfällig. Die zunehme Komplexität kann nicht wirkungsvoll bearbeitet werden.
Während diejenigen Führungskräfte und BeraterInnen/Beratungsunternehmen, die das neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftskonzept zur Basis ihres Handelns machen, Unternehmen weiterhin nach tayloristischen und Fayol´schen (Management-) Prinzipien optimieren (z.B. mit Kostensparprogrammen, die Organisationen die Lebensfähigkeit zu rauben drohen), sind andererseits auf der Grundlage eines neuen, integralen Bewusstseins vollkommen andere Formen der Unternehmensführung und Organisationsgestaltung zu beobachten.

Innovative Unternehmen des 21. Jahrhunderts werden aus der Sicht der OE über ihre buchstäbliche Anatomie hinaus denken müssen, wenn sie mit den Anforderungen eines dynamischen Marktes und geänderten Rahmenbedingungen in ihrem rechtlichen, volkswirtschaftlichen und institutionellen Umfeld Schritt halten wollen. Das Unternehmen als Maschine und den Menschen als Funktionär im Dienst von Zweck und Mittel zu begreifen wird nicht mehr ausreichen. Wenn allein die Wirtschaftlichkeit und der Gewinn im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen laufen Unternehmen Gefahr ihre Vitalität zu verlieren - ihre Lebendigkeit und Innovationskraft. (7)
Innovative Unternehmen des 21. Jahrhunderts entdecken, dass Geistesgegenwart im Umgang mit Menschen, Maschinen und Ideen die knappste Ressource von allen ist. Sie entdecken, dass nur der Mensch diese Ressource bereitstellen kann. Dies verändert die innere Organisation von Unternehmen grundlegend. Wenn der Computer immer mehr das übernimmt, was verstärkt mit der digitalen Seite unseres Seins verbunden ist: Zahlen, Daten, Fakten, Analysen etc., wird es für Unternehmen einen Unterschied machen, wenn Menschen sich für die analoge Seite des Unternehmens verantwortlich machen: Intuitionen, Gefühle, Ideen, Synergien etc.(8).
Die Organisationsentwicklung hat schon immer versucht sich auch „den menschlichen Aspekten“ in Organisationen zuzuwenden. „Im Kontext der OE steht Entwicklung von Organisationen immer in einem Wirkungszusammenhang mit Menschen“ (9). Gleicher Maßen waren und sind wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Kontexte bzw. Wandlungen Treiber für die Weiterentwicklung der Organisationsentwicklung. Die vordergründige Leitfrage betrifft heute die Verbindung von Sinnstiftung und Wirklichkeitsgestaltung bei der Führung und Beratung von Organisationen.

Vor dem Hintergrund eines im Wandel befindlichen Bewusstseins auf politischer, sozialer, globaler Ebene, den Jean Gebser (10) als Wandel von einer mentalen Auffassung der Welt hin zu einer integralen Auffassung beschreibt, stellt die OE vertraute und gleichzeitig einengende Konzepte der Organisationsgestaltung in Frage. Das integrale Bewusstsein transformiert unser duales (mentales) Denken, auf das wir seit der Aufklärung und dem folgenden Industriezeitalter mit all dem damit verbundenen Wohlstand so stolz sind. Es stellt die Errungenschaft, dass der Mensch das Maß aller Dinge ist, in Frage, löst die verinnerlichte Vorstellung des „Entweder-Oder“ ab. Stellen wir uns vor, was es bedeutet, wenn wir nicht mehr darauf pochen können, dass etwas richtig oder falsch ist, kostengünstig oder zu teuer, effizient oder ineffizient, langsam oder schnell, ertragsfördernd oder existenzgefährdend, wissenschaftlich oder unwissenschaftlich, geistig oder materiell, kulturell oder ökonomisch, spirituell oder rational, intuitiv oder vernünftig, sicher oder unsicher ist, was gibt uns dann Halt und Orientierung? Wenn weder das Hierarchieprinzip noch das Prinzip „der Experte weiß was richtig oder falsch ist“ gilt, wie kommt es dann zu Entscheidungen? Das in Frage zu stellen erfordert zu akzeptieren, dass wir nach all dem Wohlstand auf der Basis des mentalen Bewusstseins jetzt in einer Überlebenskrise sind, ökonomisch!, ökologisch, sozial und dass wir weder die Hoffnung auf technologische Lösungen dieser Krisen haben noch auf nationalistische Lösungen und deren Folgen bauen wollen. Deshalb sind wir gefordert und ermutigt, uns der Ungewissheit eines neuen = integralen Bewusstseins verantwortungsbewusst zu öffnen.
Das integrale Bewusstsein ersetzt das „Entweder - Oder“ durch das „Sowohl – als – auch“, bei dem das Ganze immer im Zentrum steht.
Das integrale Bewusstsein lebt gegenwärtig in unzähligen Projekten, Initiativen in Politik und Zivilgesellschaft, sowie in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Kultur, Friedensarbeit, Wissenschaft/Forschung, Ökologie, Wirtschaft und Organisationsgestaltung. Integrales Bewusstsein ist kein fertiges Konzept, sondern ist und bleibt in der Phase des Herantastens und Suchens. Es zeigt sich an einer authentischen Lebenshaltung, am Prinzip von Selbst- und Mitverantwortung am Verständnis für die tiefe Zusammengehörigkeit von allem.

Was bedeutet das Integrale Bewusstsein für die Führung und Gestaltung von Organisationen?
Es zeigt sich, dass wir bereits über eine Fülle von Konzepten verfügen dürfen, die mehr oder weniger bewusst auf der integralen Idee, die neben Jean Gebser vor allem auch Ken Wilber vielfach beschreibt, basieren. Zu ihnen gehören ganz prominent die Theorie U von Claus Otto Scharmer, weiters die Forschungen von Frederic Laloux, veröffentlicht in Reinventing Organizations; und das Modell „ Vitale Systeme ©“ von Dorothe Liebig und Barbara Albrecht.

Das Modell der vitalen Systeme greift im Ursprung auf eine Stadtmetapher zurück. Mit dieser Metapher wird versucht die Faktoren der Vitalität aufscheinen zu lassen, besprechbar zu machen, denkbar zu machen. Vitalität wird dabei verstanden: als Fähigkeit zur Anpassung an Anforderungen und Veränderungen (Elastizität), als Fähigkeit Widersprüche zu bewältigen / Dilemma-Situationen zu balanciere (Ambiguitätstoleranz), als Fähigkeit zur Regeneration, zu Freude und Genuss, (Selbstwirksamkeit), als Fähigkeit mit Krisen umzugehen (Resilienz), und als Fähigkeit der ständigen Selbsterfindung (Innovationskraft). Vitalität wird von Liebig/Albrecht als indirekte Dimension beschrieben. Sie lässt sich nicht direkt erzeugen, man kann Vitalität nicht in ein Unternehmen „hinein managen“. Vitalität ist schwer zu beschreiben, aber unmittelbar spürbar und wirksam. (11, 12, 13)
Das Modell der vitalen Systeme kann OE geleitete Führungskräfte und BeraterInnen in der Entwicklung von Organisationen unterstützen. Hierbei wird versucht anstatt linear-kausal zu denken, vernetzt und prozesshaft zu denken. Es geht darum das Ganze wahrzunehmen und eine Kultur zu entwickeln, die auf Vertrauen und Verantwortung basiert. Zukünftig werden die Unternehmen, die eine stimmige soziale Architektur schaffen, in der sich menschliche und organisatorische Potentiale entfalten können, eher den Anforderungen einer komplexen und dynamischen Umwelt gerecht werden. In dieser vitalisierenden Architektur werden die Menschen sich vernetzten, weil ihr Engagement und ihre Energie gewürdigt wird. Es wird zukünftig darum gehen, die Gleichzeitigkeit von Freiheit und Sicherheit, von dezentraler Autonomie und zentraler Verbindlichkeit im Unternehmen zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang finden sich hier die Ideen des integralen Bewusstseins von Gebser als Hintergrundfolie wieder. Das Modell der vitalen Systeme inspiriert und ermöglicht Ansatzpunkte für Vitalität zu finden.

Die Beschreibung der Herkunft und Zukunft der OE spiegelt die vielfältige, intensive und bewegende Geschichte, Gegenwart und Zukunft der OE wieder. Die OE nimmt die Entwicklungen der Zeit wahr, integriert diese mit Hilfe verschiedener Methoden, Modelle zur Gestaltung und Entwicklung von Organisationen. Mit Blick in die Zukunft eröffnet das integrale Bewusstsein völlig neue Perspektiven für die OE. Peter Senge schreibt, jeder echte Wandel gründet in neuen Denk- und Wahrnehmungsweisen.(14) So werden es auch in Zukunft die eingangs beschriebenen Welt- und Menschenbilder sein, die entscheiden in welcher Art und Weise die verantwortlichen Führungskräfte den zahlreichen Entwicklungs- und Veränderungsprozessen begegnen.
Unsere Erfahrung zeigt, dass vor allem jene Führungskräfte erfolgreiche Entwicklungsprozesse gestalten, die bereit sind an ihrer eigenen Entwicklung zu arbeiten, die sich öffnen für neue, nicht rationale Erfahrungswelten. Sie erkennen, dass einseitiges Denken und rationale Grundsätze nicht ausreichen. Sie erkennen den Zugang zum „eigenen selbst“ als Voraussetzung dafür Innovation und Inspiration in die Welt zu bringen und gehen einen mutigen, beherzten und ganz eigenen Weg mit ihrem Unternehmen und den darin arbeitenden Menschen.

Autoren:
Dr. Walter Häfele,
Rebhalde 49, A-6832 Röthis
Kaiserstrasse 57, Tür 6, 1070 Wien 
info@walterhaefele.at
http://www.walterhaefele.at

Dr. Barbara Albrecht
Ctd CONSULTING NETWORK
Schwendebühel 12, A 6850 Dornbirn
b.albrecht@ctd-consulting-network.com
http://www.ctd-consulting-network.com

Veröffentlicht in: Coverdale Themenheft 3 –Oktober 2015, Hrsg.: www.coverdale.de

(1) Heitmeyer Wilhelm (Hrsg.), Deutsche Zustände, Folge 10, zehnjährige Langzeitstudie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, Berlin 2012
(2) Ransfeld Margret, am Dialogikum Phönixberg, ORF1: Sendung „Motive-Glauben und Zweifel“, 26.7.2015
(3) Den interessierten Leser_innen empfehlen wir nachzulesen; sie werden beim Lesen vermutlich vergessen, zu welcher Zeit dies geschrieben wurde, weil die Inhalte gegenwärtig in vielen Unternehmen angewandt und selbstverständlich als „richtig“ eingeschätzt werden
(4) Wimmer Rudolf, OE am Scheideweg in ZOE 1, 2004
(5) Baumgartner Irene u.a., OE – Prozesse, die Prinzipien systemischer Organisationsentwicklung, 1. Aufl. Bern 1988
(6) Häfele Walter (Hrsg.), OE-Prozesse initiieren und gestalten, Ein Handbuch für Führungskräfte, Berater/innen und Projektleiter/innen, 3. Auflage, Bern 2015
(7) Liebig Dorothe, MC Notiz Cultural Leadership, 2010
(8) Baecker Dirk, Navigation in der Welt der Formen, 2008 in Liebig Dorothe, u.a, Hidden Potenzial 2014
(9) Pechtl Waldefried, Zwischen Organismus und Organisation, Linz 1989
(10) Gebser Jean, Ursprung und Gegenwart, erster und zweiter Teil, 5. Auflage, 2010
(11) Liebig Dorothe, Albrecht Barbara, MC Notiz Vitale Systeme, 2010
(12) Liebig Dorothe, MC Notiz Resonanz – Eine vitalisierende Kulturdimension in Organisationen, 2013
(13) Liebig Dorothe, MC Notiz, Vitale Teams sind Top Teams, 2014
(14) Senge P.M, Die notwendige Revolution, 2011